Mittwoch, 25. Juni 2003

Eröffnung

Als Christian Führer aufs Podium gebeten wird, hört die leise Unruhe im Publikum auf. Man konzentriert sich zu verstehen, was der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche zu sagen hat. Führer war eine der Hauptfiguren der Demokratiebewegung in der ehemaligen DDR. Im Wendejahr 1989 lud er jeden Montag zum Friedensgebet in seine Kirche ein und hat damit viel zu dem beigetragen, was heute die "erste friedliche Revolution" in der deutschen Geschichte heißt. An diesem Abend erzählt er davon, wie es begann, 1980, als die Jugendpfarrer der evangelischen Kirche die Friedensdekade ausriefen und Jugendliche mit grünen Haaren in seine Mitternachtsandachten strömten, weil sie dort sagen konnten, was sie wirklich dachten, ohne dafür verhaftet zu werden.
Die DDR hätte solche Menschen "Elemente" genannt, sagt Führer. Doch für ihn sei es wichtig, den Randgruppen zuzuhören, denn es seien Menschen, wie die Jugendlichen mit den grünen Haaren, die mit ihrem Mut und ihrer Leidenschaft die Dinge voran brächten. Was man den Jugendlichen heute beibringen sollte, wird Führer gefragt. "Nicht nur zuzuhören, sich einzumischen, dagegenhalten", ist seine Antwort und: "Nicht aufgeben!". Man müsse sie begeistern, ruft er, begeistern für eine Idee, für die es sich zu leben lohnt. Und leise fügt er hinzu: Zu leben und vielleicht sogar zu sterben. Nach seiner Rede gibt es lange Applaus. Überhaupt die DDR. Sie wird oft erwähnt in den Beiträgen der Eröffnungsrunde. Es sind nicht nur Leipzig und die Montagsdemos, auf die hingewiesen wird, sondern vor allem der 50. Jahrestag des Aufstandes vom 17. Juni. Die Erinnerungen lägen auf der Straße, meint Elke Urban, die Gastgeberin der Lernstatt, man bräuchte die Menschen nur anzusprechen und sie würden von ihren Erfahrungen berichten. Auch das Schulmuseum, in dem die Veranstaltung stattfindet, hat eine besondere Vergangenheit: Hier saß früher die Stasi und lauschte nach verbotenen Gesprächen.
Eigentlich, findet Elke Urban, wünschte sie sich fast, dass die Stasi noch immer lauschen würde: damit sie hören könnte, was für lebendige und demokratische Projekte hier in diesen Tagen zusammenkommen.
Viele Beiträge gehen kritisch auf die Situation der heutigen Schule ein. Zwar sei mancher Fortschritt in Richtung einer wirklich demokratischen Schule erreicht worden und auch die alte autoritäre Schulform habe ihre Macht verloren. Doch noch immer überwiege die bloße "Empfängerschule", hätten die Schüler kaum Mitbestimmungsrechte und seien machtlos gegenüber Diskriminierungen. Die Schule und die Politik ständen hier in einer "Bringschuld".
Die Eröffnungsveranstaltung wird durch "Zwischenfall" aufgelockert, eine Band aus Leipzig, moderne Liedermacher eigentlich, die in ihren Liedern und in Texten, die sie vortragen, Stellung nehmen gegen Kommerz, Ignoranz und die Sensationslust der Medien. "Wir sind nicht satt, wir haben es satt" singen sie oder "Der Trend hat gerufen und ich bin dabei" und spielen dabei auf Tröten, Flöten und Akkordeon. Die Musik kommt bei den meisten Jugendlichen gut an. "Alltagsmusik" nennt eine Schülerin sie, weil sie vom Alltag handele, wie er nicht sein sollte.

Die Band "Zwischenfall"

Bliebe noch die Frage zu klären, was das Ziel dieser Lernstatt ist. Erfahrungsaustausch zwischen den Projekten natürlich. Anregungen für die eigene Arbeit zu bekommen, Kraft und Lust, das eigene Projekt fortzusetzen, interessante Menschen kennenzulernen, sich eine Form der Anerkennung abzuholen, "die immer noch nicht selbstverständlich ist, wenn Schule sich für Demokratie engagiert", meint der Geschäftsführer des Förderprogramms, Wolfgang Beutel. "Gleichgesinnte" zu treffen und, ergänzt Felix vom Conrad-von-Soest-Gymnasium, "und auch ein bisschen Spaß".

 
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