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"Demokratisch Handeln" aus verschiedenen Blickwinkeln - Die samstäglichen "Tagesthemen" aus den Workshops


Ein Pixelgewitter erhellt am Samstagmorgen die Bühne in der 50Kilovolt-Halle des Umspannwerks Jena, dem Plenarort der Lernstatt Demokratie. Zur Abschlussveranstaltung der diesjährigen Lernstatt zeigt die Fotografin Bilder aus dem bisherigen Geschehen, den Workshops, dem Erfahrungsaustausch und den Stadtspaziergängen. Karlheinz Goetsch führt dann aber zügig, humorvolle und mit genauem Blick auf das Gebotene durch die samstägliche Ergebnispräsentation der Workshops.

Wer ist hier fremd? – Verschiedene Kulturen in einer Welt!

Den Anfang machen die Schülerinnen und Schüler, die im Studio des „Offenen Kanals Jena“ einen Workshop gestaltet haben. „Verschiedene Kulturen in der Schule“ hatten sich die Nachwuchsmoderatoren als Thema gewählt. Interviews führen, Musik aussuchen, Moderationen einspielen und alles zusammenschneiden: Die Jugendliche bekamen einen Überblick über das Radioleben im Schnelldurchlauf. Lehrer kamen in dem Beitrag genauso zu Wort wie Deutschtürken und ausländische Mitbürgerinnen. Doch der schönste Beitrag, den die „rasenden Rabatz-Reporter“ aufzeichneten kam zum Schluss: „Ja natürlich bin ich Ausländerin. Fast überall, nur in Deutschland nicht.“

Bunt wird es mit der nächsten Gruppe: Da wurden alte Türen bemalt. Stolz präsentieren die kleinen Künstler ihre Werke. Bunte Farben, Handabdrücke oder Namen schmücken die Türen. „Zusammen geht’s besser“ resümieren die Teilnehmer ihre Arbeit, „das gehört zur Demokratie“. Als besonderer Höhepunkt wird auf der Bühne auch noch ein Stuhl bemalt.

Debattieren, Zukunft gestalten, Sicherheit geben

„Sollen Männer Stöckelschuhe tragen?“, wer sich das schon einmal gefragt hat war bei Gruppe drei, „Jugend debattiert“ genau richtig. Während im Workshop politische Themen diskutiert wurden, brachte die mit einem zwinkernden Auge geführte Präsentations-Debatte das Publikum ordentlich zum Lachen. Auf der einen Seite die Mädchenfraktion, die sich mehr Männer in Pumps wünscht, und durch die „erotischere Ausstrahlung“ sogar eine höhere Geburtenrate kommen sieht. Für die beiden Jungs auf der anderen Seite war der Zusammenhang zwischen männlichen High-Heels-Trägern und zunehmender Fruchtbarkeit allerdings völlig unersichtlich. Außerdem würden es die Männer kaum wagen den Frauen „eines ihrer Identifikationssymbole schlechthin zu rauben“, abgesehen von der anderen physischen Konstitution der männlichen Füße und „Beinen, die nicht mal ihr Frauen sehen wollt“. So argumentierten die zwei Jungen, die ebenso wie ihre weiblichen Kollegen auf jede Argumentation Bezug nahmen und weiterführende Argumente aufeinander schichten konnten zwar rational und abgewogen, konnten der witzigen und vorwärtsdrängenden Argumentation der Mädchenriege letztlich doch nicht ganz entgegenhalten. Der äußerst amüsante Schlagabtausch endet mit einer Abstimmung im Publikum, bei der sich nach dieser Redeschlacht immerhin die Hälfte des Plenums für Männer in Stöckelschuhen erwärmen konnte.

Mobil geht es weiter mit der nächsten Gruppe: kurz und knackig präsentiert die „mobile Zukunftswerkstatt“ die drei Phasen, die es braucht um ein Konzept von einer besseren Schule zu entwickeln. Am Anfang steht die Kritikphase, in der alles Schlechte auf den Tisch kommt. Nach der Utopiephase, in der es um die perfekte, wenn auch unrealistische perfekte Lösung geht, kommt die Realisationsphase, an deren Ende schließlich ein fertiger Plan steht.

Sportlich wird es mit dem nächsten Workshop: Erlebnispädagogik in ihrer reinsten Form. Zwei Seile werden neben der Bühne gespannt, eines zum drüberlaufen und eines zum festhalten, und während Moderator Karlheinz Goetsch noch letzte Bedenken über die Statik des Umspannwerkes äußert, balanciert schon der erste mutige Workshsopteilnehmer über den „Abgrund“. Vertrauen schaffen, das gilt bei der Seilführung an der Kletterwand und es gilt auch im übertragenen Sinne bezogen auf demokratische Verhältnisse: „Das macht Dinge möglich, die man sich vorher nicht zutraut“, haben die Hobbyakrobaten in dem Workshop von Kirsten Sünneker und Peter Voß aus Münster gelernt.

Schulkonferenz am Wochenende? Die, wenn auch nur eine simulierte, gab es aus dem nächsten Workshop. Verhandelt wird über das Projekt einer fiktiven Schülerfirma, die sich, - natürlich nicht ganz ernst gemeint – für „Hanftee von und für Schüler“ einsetzt. Die Gruppe verdeutlicht die Schwierigkeiten auf dem Weg von der Idee bis zum fertigen Produkt.

Aus dem kühlen „Orchestergraben“, einem Betongang im Untergeschoss des Umspannwerks,  zurück zu gehen in die sommerliche Halle hieß es für den HipHop-Workshop von Heinfried Tacke. „Digging in the dirt“ – zusammen wurde am Freitag fleißig im Dreck unserer Gesellschaft gegraben und herausgekommen ist ein Rapsong der besonderen Art, der ganz ohne instrumentale Verstärkung auskommt. Die elfköpfige Combo singt über Afghanistan, Armut und Recht. Nach dem Wechsel zu traditionell türkischer Musik fragt Karlheinz Goetsch begeistert, was wohl dabei rausgekommen wäre, wenn sie eine Woche Zeit gehabt hätten.

„Youth banks“, Gute-Schule-Grafik und eine verbindende Sitzgelegenheit

Bei der Präsentation des achten Workshops wird das Publikum wieder mit eingebunden. Eine fiktive Schulkonferenz mit den typischen Exemplaren des „Verhinderers“, des „Innovators“, des „Bedenkenträgers“ und anderer Rollenklischees aus den Lehrerzimmern und SV-Versammlungen wurde nachgestellt. Statt Zahlenwirrwarr, der beim Titel „Youth Banks“ befürchtet werden konnte, sollten Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und die Moderatoren raten, wer in der Debatte auf der Bühne, in der es darum ging wie „eine Debatte nicht laufen sollte“, welche Rolle übernommen hatte. „Vielredner“, „Schmetterling“, „Vermittler“ oder „Pessimist“ standen zur Auswahl.

Auch bei der anschließenden Vorstellung des Grafikworkshops gab es was zum Staunen. Plakate für mehr Demokratie in der Schule mit den unterschiedlichsten Motiven hatten die Teilnehmer, die Workshopmoderator Ubbo Kügler als „sehr kompetent“ in Erinnerung halten will, gezaubert. „Cooler Unterricht“, statt den Gameboy hinter dem Buch zu verstecken, wurde gefordert. „Kleine Kätzchen“, die sich die „Pfote reichen“ waren zu sehen und  schreiende Kinder für mehr Mitspracherecht: Vielfalt wurde hier großgeschrieben.

Von K wie Kontakt bis N wie Neugier – „Kommunikation“ kann viel bedeuten, das ist das Ergebnis des nächsten Workshops. Schüler als Moderatoren und Mediatoren – hier ging es darum, Lösungen für Konflikte zu finden und die Körpersprache zu trainieren.

Stolz zeigt sich Kord Winter über seine Schützlinge im handwerklichen Workshop. Unter dem Motto „Eine runde Sache“, entstand eine Polygon-Bank zum Sitzen, deren Ecken verbunden sind. „Verständigung und Kreativität“ – zwei Grundpfeiler der Demokratie haben die Mädchen und Jungen hier ganz bildlich mit Holzbohlen umgesetzt. In der alten Reithalle auf dem Imaginata-Gelände flogen die Späne, jeder durfte „seine“ zwei Meter lange Holzbohle individuell gestalten. Die einzige Vorraussetzung war: die Enden mussten zu denen des Nachbarn passen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, besonders dafür, dass es für die meisten der Teilnehmenden eine Premiere an Hobel und Meißel war. „Ich habe noch nie soviel Arbeit und Schweiß in ein Stück gesteckt was ich nicht mit nach Hause nehmen durfte“, lacht eine Teilnehmerin.

Das Abschlussvideo und viel Begeisterung

Einen würdigen Abschluss findet die Präsentation mit dem „Lernstatt-Journal“, des Videoworkshops. Falsche Bescheidenheit zeigt Workshopmoderator Götz Gerhard aus Hamburg: „Alles ist perfekt, nur der Film nicht“. Auf der Suche nach der Demokratie sind Schülerinnen und Schüler durch Jena gestreift, haben auf dem Fuchsturm „Knappen und Ritter“ interviewt und im Stationenpark der Imaginata jede Menge Experimente gemacht. Mit dem Phänomen der Thüringer Bratwurst haben sich die jungen Filmemacher auch noch beschäftigt: Ob mit Ketchup oder Senf, an der richtigen Art und Weise die Spezialität zu genießen, scheiden sich die Geister – ja es wird eine fundamentale kulturelle Basis des Daseins in Thüringen sichtbar, „wo Sie hinkommen, die Wurst ist individuell“, meint Schlachtermeister Eckhart ins Schülermikrofon. Auch wenn die Frage, wie die Wurst denn nun richtig zu essen sei, letztlich offen blieb, so war der Film trotzdem äußerst unterhaltsam.

„Kirchentag, G8, Lernstatt Demokratie, was war am wichtigsten?“ fragt Karl-Heinz Goetsch lächelnd? Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann es natürlich nur die eine Antwort geben – Jena und die Lernstatt Demokratie.

Begeistert würdigt zum Abschluss und zur Verabschiedung Hildegard Hamm-Brücher die Kreativität der Ergebnispräsentation: „Die Lernstatt ist mein Jungbrunnen“, erzählt die Mitgründerin von „Demokratisch Handeln“. Begeistert zeigt sie sich auch von den vielfältigen Projekten und der gelungen Atmosphäre von Kreativität und kritischem Dialog.  Aus allen Himmelsrichtungen kamen die Teilnehmer, das ist für Peter Fauser neben der „Arbeit an einer stabiler Demokratie“, am wichtigsten.

(11.06.2007. Katharina Dellbrügger, Soest)

 

12.06.2006 (MF)

 
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