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Demokratisches Handeln in einem "Haus voller Fragen" Eröffnung der 19. Lernstatt Demokratie

"Wir müllen so herrlich, wir müllen so schön, wir haben so viel Schönes noch nie gesehen...", singt die Kabarettistin und Musikerin Saskia Brzyszczyk und eröffnet damit die 19. Lernstatt Demokratie des "Förderprogramms Demokratisch Handeln" in Jena. Doch ihre Worte sind nicht frei von Ironie, sie fragt danach, wie wir unsere Welt gestalten, auch danach, wer "wir" sind und wer nicht dazu gehört. Sie spricht damit bereits zentrale Themen der folgenden Eröffnungsrunde an. Es geht um Partizipation, um Teilnehmen und Teilhaben, darum, sich eine Welt vorzustellen, in der ein demokratisches Miteinander gelebt wird.

Wieland Krispin, Landessieger des Wettbewerbes "Jugend debattiert", Jurymitglied bei "Demokratisch Handeln" und Schüler einer elften Klasse in einem Erfurter Gymnasium ist heute auch der Moderator des Podiums. Er greift diese Ideen auf und gibt einen Ausblick auf die Ziele der Lernstatt. Die Projekte sollen anregen zum Austauschen und zum Weiterdenken. Ihm als Co-Moderator zur Seite steht Wolfgang Wildfeuer, Regionalberater des Förderprogramms in Sachsen und Referent am Sächsischen Bildungsinstitut.

Vorstellungsdenken und Demokratie

Ihr erster Gesprächspartner ist Peter Fauser, Professor für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Fauser, Gründer und Vorsitzender der Imaginata und wissenschaftlicher Leiter von "Demokratisch Handeln", übernimmt bereitwillig das Mikrophon und das Wort. Er berichtet von laufenden und abgeschlossenen Projekten auf dem Gelände des ehemaligen Umspannwerkes. Neben der Dauerausstellung der Imaginata bieten die Hallen auch Raum für Konzerte, Lesungen, für die Lehrerbildung und eben alle zwei Jahre für die Lernstatt Demokratie. Die Imaginata, das "Haus voller Fragen", wie Fauser es auch nennt, bietet mit der Lernstatt alle zwei Jahre einen Ort, an dem Beispiele praktischen Lernens präsentiert werden. Praktisches Lernen ist verbunden mit persönlichen Erfahrungen aus eigenem Handeln. Denn ohne eigenes Handeln könne Demokratie auch nicht gelernt werden, so der Jenaer Pädagoge.

Der Aspekt des eigenen Handelns wird ebenfalls von Wolfgang Beutel aufgegriffen. Der Geschäftsführer des Wettbewerbes "Demokratisch Handeln" betont, dass die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern in der Schule keine Selbstverständlichkeit sei. Er fordert, auch in Verweis auf die Konferenz der Kultusminister, mit der die Lernstatt in diesem Jahr zusammenarbeitet, "dass demokratische Bildung in der Schule eine größere Rolle spielen muss". Doch dürfe man die Initiative auch nicht immer an die Politik abschieben, sagt Beutel. "Die Politik kann nur unterstützen, die Verantwortung für demokratische Kultur liegt letztlich in der Schule direkt bei den Menschen, die dort lehren und lernen" schließt er sein Plädoyer für demokratische Selbstverantwortung.

Perspektivenwechsel auf der Theaterbühne

Wolfgang Wildfeuer bittet auch einen Lehrer, Herrn Werner vom Luther-Melanchton-Gymnasium in Wittenberg auf das Podium. Er erzählt von einem Projekt an seiner Schule, bei dem sich Schülerinnen und Schüler der neunten bis elften Klasse mit der latenten Ausländerfeindlichkeit im Alltag beschäftigten und das Theaterstück "Deutsch?!?" erarbeiteten. Werner unterstreicht eindringlich, wie alltäglich auch jenseits von Stammtischparolen ein latenter Rassismus sei. Gerade in Sachsen-Anhalt, dem Bundesland mit den meisten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, sei zivilgesellschaftliches Handeln schon in der Schule dringlich. So liege es auf der Hand, zu fragen, was "deutsch" sei. Als das Projekt begann, so berichtet der Wittenberger Pädagoge, sei er erstaunt gewesen, wie viele rassistische Sprüche die Jugendlichen kannten – die Schüler seien selbst verwundert gewesen über das, "was da zusammen kommt". In ihrem Theaterstück kehren die Jugendlichen die Verhältnisse des 11. September 2001 um: Sie konstruieren den Fall eines Flugzeugs, das von einem deutschen Rassisten in ein Asylbewerberheim gelenkt wird. "Wie zu erwarten war, hat das Theaterstück kontroverse Reaktionen ausgelöst", sagt Werner. Diese zeigten jedoch, dass die Bedeutung des Themas ungebrochen sei. Als einen Erfolg bezeichnete er, dass durch solche Theaterstücke der latente Alltagsrassismus bewusst gemacht werden könne und die Schüler in ihrem Sprachgebrauch sichtbar sorgfältiger werden.

Stiften für die Demokratie

Moderator Wieland Krispin begrüßte Jürgen Bosenius von der Deutschan Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) auf der Bühne. So wie die Imaginata ein Haus voller Fragen sein könne, sei die DKJS eine Organisation voller Fragen, die zusammen mit Kindern und Jugendlichen und in Kooperation mit anderen Organisationen nach Antworten darauf suche. Partizipation, zumal an Schulen, sei dabei ein zentrales Thema in der Stiftung. Die drei Schritte, um das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Politik zu fördern, sieht Bosenius in der Förderung von Anerkennung, von Selbstwirksamkeit und von Verantwortungsübernahme. Dieser von dem Pädagogen Wolfgang Edelstein entliehene Dreiklang käme bei der Lernstatt Demokratie zur Geltung, betonte Bosenius. Die Projekte zeigten, wie Schülerinnen und Schülern Verantwortung übernehmen können. Die Ausstellung sei inzwischen wieder eine eigene Form der Wertschätzung dieser Aktivitäten. Diese Erfahrungen förderten schließlich die Selbstwirksamkeit. In der DKJS selbst könnten Kinder und Jugendliche insbesondere im Rahmen der Youth Banks mitbestimmen, welche die Projekte von Kindern und Jugendlichen mit bis zu 800 Euro finanziell unterstützten. Auch was er als Schüler in einer Schule Heute ändern würde, fragte der junge Moderator. "Partner aus dem schulischen Umfeld in die Schulen einbinden und Platz lassen für das, was Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schule als wichtig empfinden sowie natürlich aus vorhandener Einsicht die Ganztagsschule gestalten", so sein pädagogischer Dreiklang.

Politik engagiert sich für Schule

Evelyn Koch vom Thüringer Kultusministerin dankte schließlich allen Bundesländern, die das Förderprogramm Demokratisch Handeln finanziell unterstützen. Damit das Förderprogramm eine Zukunft habe, sei jedoch die Beteiligung möglichst vieler, am besten aller deutschen Bundesländer wichtig. Frau Koch richtet den Blick auch auf die Lehrerinnen und Lehrer, die sich für die Demokratie-Projekte engagierten, "… was ich in den Projekten bei Demokratisch Handeln sehe, ist keine Selbstverständlichkeit". Zwar habe sie selbst als Russisch- und Geografielehrerin mit politischer Bildung nichts zu tun gehabt. Seit ihrer Abordnung ins Kultusministerin wisse jedoch auch sie, wie wichtig Demokratiepädagogik eben für alle Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen sei: "Die Lernstatt Demokratie zeigt in beeindruckender Weise, wie junge Leute Demokratie lebendig machen und dass es eine Zukunft gibt".

Nach einer zweiten musikalisch-schauspielerischen Einlage von Saskia Brzyszczyk eröffnete Moderator Wolfgang Wildfeuer die Ausstellung der Lernstatt Demokratie. Die Anwesenden sollten die Zeit bis zum Abendessen nutzen, einander zu begegnen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. (Jena, 18.06.09 Beatrice Tholen und Veit Polowy)


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18.06.2009 (LR)

 
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