Demokratie lernen und Schulentwicklung

Vor diesem demokratiepädagogischen Hintergrund wird die Schule als ganze betrachtet, als ein Ensemble von Lerngelegenheiten und als "Erfahrungsraum", der auf verständnisintensive Lernprozesse hin optimiert werden soll. Freilich weist die Schule demokratiepädagogisch problematische Züge auf: Ihr Besuch wird erzwungen, sie verschärft die gesellschaftliche Ungleichheit, für viele ist sie mit Demütigungserfahrungen und Anerkennungsverlust verbunden, die demokratische Mitwirkung der Beteiligten ist eher marginal; nicht zuletzt hat die Schule auch einen Anteil am Entstehen von Gewaltbereitschaft und Rechtsextremismus. Dennoch: Die Schule ist die einzige gesellschaftliche Einrichtung, die sich allen Kindern und Jugendlichen ausschließlich um des Lernens willen widmen kann. Von daher konzentriert sich die Expertise auf Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungsbereiche, die an den Status quo anschließen können und nicht von übergreifenden Strukturveränderungen abhängen. Als "Module" in diesem Sinne von Entwicklungsbereichen - als Ausgangsfelder für sich ausweitende Veränderungen, nicht als abgegrenzte Segmente - unterscheidet sie dabei den "Unterricht" von allem anderen, was darüber hinaus Schule ausmacht: Das "Schulleben" mit seinen eigenen Gesellungsformen, Lernangeboten und den Elementen der Schulverfassung, zusammenfassend mit "Schule als Demokratie" überschrieben, und die Außenbeziehungen der Schule, die unter dem Programmtitel "Schule in der Demokratie" verhandelt werden.

Quer dazu wird als eigenes Modul "Lernen in Projekten" hinzugefügt. Projektarbeit entspricht in vielem den Erwartungen, die an eine demokratiepädagogische Methodik und an verständnisintensives Lernen geknüpft werden. Sie geht a priori von der gemeinsamen Modellierung von Aufgaben aus. Reziproke Anerkennung die anthropologisch grundlegende Erfahrung, aus der das Vertrauen in Verständigung und Demokratie, für die Abwehr und Abkehr von Gewalt erwächst, wird dabei nicht als Lohn und Folge des Lernens gewährt, sondern als dessen Voraussetzung gewährleistet. Projektpädagogik soll als Inszenierungsform aus eigenem Recht in der Schule Fuß fassen, als eine Form, die vom inneren Leitbild des Handelns geprägt wird und nicht von dem der Lehre. Sie soll nicht als marginales methodisches Sonderprogramm in Randzeiten und Randfächern, sondern als eine Art zweiter Kultur realisiert werden.

Zusammenfassend lassen sich im demokratiepädagogischen Tenor des Programms drei Motive unterscheiden: die Verstehenstiefe des Lernens, handlungs- und projektorientierte Arbeitsweisen mit Realitäts- und Lebensbezug sowie - gegen Demütigung und Missachtung - die Erfahrung und Praxis gegenseitiger Anerkennung. Diese Motive werden für die einzelnen Module durch zahlreiche praktische Vorschläge und Hinweise ausgeführt und orchestriert. Hinzu kommt ein umfangreiches, teils aus Stiftungsmitteln finanziertes Fortbildungsangebot. In der Tat wäre es sinnwidrig, ein Programm zu "Demokratie lernen und leben" als rein staatliche Aufgabe gegen die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure (die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, die Freudenberg-Stiftung oder die Akademie für Bildungsreform) abzuschotten. Notwendig sind solche Fortbildungsangebote, weil der zugleich holisitische und differenzielle Anspruch des Programms Lehrerinnen und Lehrer vor ganz besondere Herausforderungen stellt, die ohne die Unterstützung durch konkrete und einschlägige Qualifizierung - zum Service-Learning, zum verständnisintensiven Lernen, zur Projektdidaktik, zurFörderung von SelbstwirksamkeitsÜberzeugung oder zur Förderung von Zivilcourage, um nur einige zu nennen, nicht bewältigt werden können.

Die Erfahrungen seit Beginn des Programms zeigen, dass mit ihm ein noch weithin unbekanntes Terrain der Schulentwicklung in Deutschland betreten wird. Vielfalt und Unsicherheit sind groß, im Programmatischen wie im Praktischen. Die kräftige und kritische Resonanz in der Fachdiskussion und die äußerst intensiven und engagierten Arbeitsprozesse in der Praxis sind aber wichtige Anzeichen dafür, dass es überfällig war, die Demokratie als die wichtigste politische Errungenschaft der Moderne auch in der deutschen Schule zum Thema umfassender, spezifischer und nachhaltiger Entwicklungsanstrengungen zu machen.

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