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Für eine Demokratische Schule - Halbzeitkonferenz des BLK-Modellprogramms

"Halbzeit" - das ist nicht nur ein Begriff mit chronologischer Bedeutung. Von einem Ganzen ist die Hälfte vergangen, doch die andere Hälfte liegt noch in der Zukunft. "Halbzeit", das ist auch eine Pause, ein Anlass für Orientierung, Zusammenfassung des Geschehenen und Neuausrichtung für die Fortführung der bestehenden Absichten hin auf die Ziele, die es zu erreichen gilt. Für das BLK-Programm heißt das: Demokratie als prägenden Bestandteil von Schulkultur und Alltag in der Schule so zu etablieren, dass ein entsprechendes Lernen durch Erfahrungsmöglichkeiten erreicht wird, welches intelligentes, anwendungsbezogenes Wissen fördert, pro-demokratische Haltungen unterstützt und Demokratie als Wert so etabliert, dass Engagement und Handlungsbereitschaft für die gemeinsamen Angelegenheiten in einer offenen Gesellschaft daraus folgen. So war denn auch die "Halbzeitkonferenz" des Bund-Länder-Modellprogramms "Demokratie lernen und leben" von diesen beiden Aspekten geprägt: Bilanzierung, Besinnung auf das Erreichte sowie das noch zu Erreichende und Neuausrichtung bzw. "Justierung" des weiteren Vorgehens und der weiteren Entwicklungslinien für die einzelnen Projektbestandteile.

Die wiederum sind beim BLK-Programm sehr komplex. Da gibt es vor allem die Fülle der Schulen, die in unterschiedlichsten "Sets" organisiert, in immerhin 13 Bundesländern verschiedenste Themen, Arbeitsformen und didaktisch-methodische Arrangements sowie Schulentwicklungsmodelle zu etablieren versuchen. Sie werden begleitet von der Runde der "Netzwerkkoordinatoren", die nicht alleine den Schulen Ansprechpartner und Wegbegleiter sein sollen, sondern vor allem jetzt schon Perspektiven für eine Übertragung der im Modellprogramm gewonnenen und zu gewinnenden Erfahrungen erarbeiten müssen. Da gibt es ferner die "Multiplikatorinnen und Multiplikatoren", die sich "als Demokratieberater" verstehen wollen und in einem farbenreichen, komplexen und kompetenzerzeugenden Fortbildungsprogramm - das in der Verantwortung des LISUM Brandenburg durchgeführt wird - Rüstzeug für Schulberatung und Schulentwicklung im Sinne der Demokratiepädagogik erwerben. Schließlich sind dann noch die wissenschaftlich-evaluativen Interessen zu entdecken, bei denen sich Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung Daten, Anhaltspunkte und Erkenntnisse für Schulentwicklung, Demokratiepädagogik und Förderung der Leistungsfähigkeit der Schulen in Blick auf das "Demokratie lernen" versprechen. Die bildungspolitisch begleitenden Personen aus der Bildungsverwaltung und den Ministerien von Bund und Ländern sind überdies auch an diesem fachlichen und zeitlichen Knotenpunkt des Modellprogramms interessiert: "Demokratie lernen und leben" - was hat das bislang erbracht und wohin wird es sich in den verbleibenden zweieinhalb Jahren der Programmlaufzeit entwickeln?

Alles in allem also eine Ausgangslage, bei der kaum zu erwarten war, dass alle offenen Fragen beantwortet, alle vorhandenen Probleme beseitigt und alle noch ungeklärten Perspektiven sichtbare Gestalt annehmen sollten. Um es vorweg zu nehmen: Vor diesem Hintergrund war das Ergebnis schließlich erstaunlich! Was als offener Marktplatz so manchem der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu wenig definiert und in zu geringem Maße zielorientiert schien, erwies sich als kreative und produktive "Werkstatt" für die zweite Programmhälfte, die vor allem vom Erfahrungsreichtum, der präzisen Fragefülle, der Arbeitsbereitschaft und von der Energie der Teilnehmerschaft gelebt hat. Dass dies gelungen ist, war allerdings in hohem Maße der professionellen und engagierten Vorbereitung durch die Geschäftsstelle des BLK-Programms geschuldet. Im besten Sinne war hier eine "vorbereitete Umgebung" anzutreffen, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses sich schließlich als Lernende und Lehrende zugleich erleben durften.

Der Einstieg war als Forum organisiert, bei dem pro Länderset je eine Schule Ergebnisse, Erfahrungen und offene Fragen aus der bisherigen Projektarbeit präsentieren konnte. Die Breite der Themen, die Anschaulichkeit bislang dokumentierter Erfahrungen und die Präsentationsfähigkeit der Schulpraktiker hat dabei genauso überzeugt, wie die schwierige Akustik im Präsentationsforum die Zuhörer gefordert hat. Nur mit höchster Konzentration konnte man den Ausführungen folgen. Wem dies jedoch gelang, der konnte belegt sehen, was in der bisherigen Projektlaufzeit an demokratiepädagogisch gehaltvollen Entwicklungsansätzen inmitten des Regelschulwesens bereits entstanden ist. Ob die "Demokratie-AG" einer bremischen Schule, in der Lehrerschaft und Sozialarbeit zusammenwirken und Schülerinnen und Schüler sich für Mitbestimmungsleistungen und entsprechende Arbeitsformen gezielt qualifizieren oder die "Assoziierten Schulen" des Landes Sachsen, bei denen Schülerinnen und Schüler von Mittelschulen bereits in den oberen Stufen der Grundschulen für Gestaltungsmöglichkeiten und Partizipationsformen im Rahmen der verfassten "Schülerverantwortung" informieren; ob "Mediation", "Service-Learning" oder die kreative und partizipatorische Arbeit an geschichtsbezogenen Projekten des Gedenkens, Mahnens und Erinnerns, wie sie von Schulen aus Mecklenburg-Vorpommern und Bremen vorgestellt worden sind - die Breite des Angebotes war ebenso beeindruckend wie die Substanz des Dargebotenen. Dazu trugen Schülerinnen und Schüler aus den Projekten kreativ und verantwortlich bei.

Entscheidender Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung war schließlich der "open-Space"-Teil, der gekonnt, professionell und durchaus auch inszeniert von Michael Pannwitz aus Berlin gesteuert worden ist. In anderthalb Tagen wurden weit über 50 thematisch zentrierte Arbeitsgruppen gebildet, durch Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst in Gang gesetzt und bilanzierend dokumentiert. Die Expertise kam auf diese Weise direkt aus der Tagungsteilnehmerschaft selbst und war schon alleine von daher für "neue" Fragen und scheinbare Selbstverständlichkeiten sehr offen. Mehrere Themenschwerpunkte lassen sich bündeln:

  • Inhaltlich wurden didaktische und methodische Aspekte ebenso angesprochen wie insbesondere die Rolle von "Fachunterricht" beim "Demokratie lernen" - beispielsweise im Fachbereich "Musik". Auch der Konflikt zwischen Prüfungen und Partizipation, das Wechselspiel von Bildungsstandards, curricularer Steuerung des Unterrichts und "Demokratie lernen" kam in verschiedener Ausprägung zur Sprache.
  • In Blick auf die Schulverfassung wurde die Rolle der SV ebenso thematisiert wie das Spannungsfeld von Schulleitung und Projektsteuergruppen an den Modellschulen; aber auch Fortbildung, Elternmitwirkung und Jugendhilfe kamen hier in den Blick.
  • Schließlich wurden Aspekte der Schulentwicklung angesprochen "Demokratiewerkstätten", "Netzwerke von Demokratie-Schulen", Jugendforen, Kinderanhörung, Ombuds-Institutionen, außerunterrichtliches Engagement von Schülerinnen und Schülern waren hierfür prägende Stichworte. Aber auch durchaus delikate Fragen wie die, ob Lehrerinnen und Lehrer nicht auch "Angst vor der Demokratie in der Schule" haben könnten, wurden diskutiert.
  • Nicht zuletzt waren es Fragen der Formierung von Erfahrungen, Interessen und noch zu erledigenden Aufgaben im Rahmen dieses komplexen Modellprojektes selbst, die in Arbeitsgruppen mündeten. Die Konkretisierung eines Aufgabenbildes für die "Demokratieberaterinnen und -berater", die das Programm zur Zeit selbst ausbildet stand dabei auf der Prioritätenliste ganz oben, begleitet von dem vielfach geäußerten Wunsch, den programmleitenden Terminus "Demokratie" bzw. "Demokratiepädagogik" substanziell und zugleich kompakt, verständlich und für Fachöffentlichkeit und Politik nachvollziehbar zu benennen und zu präzisieren.

In dieser Frage sahen sich Peter Fauser und Wolfgang Edelstein - Autoren des das Programm begründenden Fachgutachtens - denn auch gefordert. Dies schon deshalb, weil in der fachöffentlich zunehmend sichtbarer werdenden Kontroverse zwischen etablierter politischer Bildung - also den Fachverbänden der Politiklehrerschaft und der wissenschaftlich organisierten Fachdidaktik - und den demokratiepädagogisch engaierten Projekten und Initiativen das Modellprogramm und seine schulpädagogische sowie demokratietheoretische Grundierung zunehmend massiver kritisiert werden. Das Ergebnis intensiver Formulierungsarbeit und umfassender Abstimmung mit zahlreichen Expertinnen und Experten aus Schulpädagogik und politischer Bildung, die den Kongress besucht haben, wurde denn auch als "Magdeburger Manifest zur Demokratiepädagogik" im Plenum mit großer Zustimmung verabschiedet und zugleich zur inhaltlichen Grundierung der nach Abschluss des Kongresses von einem großen Kreis engagierter Bürgerinnen und Bürger gegründeten "Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik" (DeGeDe) genutzt. Diese Gründung, die als fachoffene Interessenvereinigung in der Form eines Vereines vollzogen wurde, versteht sich als aktiver Teil der Bürgergesellschaft mit dem Ziel, den vielfältigen Strömungen, Initiativen, Projekten und Programmen im Bereich der demokratischen Erziehung in Schule und Jugendarbeit eine Plattform zu sein und mittelfristig Formen des fachlichen Austausches und der Unterstützung entwickeln zu können. Ausdrücklich wurde dabei betont, dass es hier nicht um Gegenpositionen zu etablierten organisierten Interessen der politischen Bildung geht und Formen der Kooperation gerade mit diesen Handlungsträgern entwickelt werden sollen. Ein mögliches nächstes Feld hierzu bietet der Fachkongress zur politischen Bildung 2006, den die DVpB gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung in Mainz ausrichten wird: "Demokratie Lernen" jedenfalls steht auch dort im Kongressthema.

Der Wettbewerb "Förderprogramm Demokratisch Handeln" und die in ihm gebündelten und weiter zu bündelnden Erfahrungen schulischer Praxis und Projektarbeit wird das BLK-Programm weiterhin kritisch-wohlwollend begleiten. Eine Reihe unserer Mitarbeiter in der "Regionalen Beratung" und in unseren Fortbildungsangeboten engagiert sich im "Multiplikatorenprogramm". Die Frage der Schulentwicklung wird überdies im Rahmen der Projekte des "Förderprogramms Demokratisch Handeln" in naher Zukunft einen besonderen Schwerpunkt erhalten. Fortbildungsangebote zum Thema "Demokratie lernen: verständnisintensiv" können abgerufen werden. Auch wird im Rahmen der DeGeDe über gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung des Transfers von Projekterfahrungen zu diskutieren sein.

Was prägt also die Bilanz? Das BLK-Programm "Demokratie lernen und leben" hat in Magdeburg mit großem Erfolg in der Sache, mit Gewinn in der Selbstwahrnehmung für die Beteiligten insbesondere in den Schulen und mit einer umfassenden Benennung der noch zu leistenden Arbeit auf allen Ebenen des Programms eine orientierende Funktion wahrnehmen können. Bleibt zu hoffen, dass der neue Schwung, den alle am Programm Mitwirkenden - von den Programmkoordinatoren über die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer bis hin zu den davon betroffenen Schülerinnen und Schülern - davon mitnehmen konnten, anhält und Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik in Deutschland weitreichend davon überzeugt, welche besondere schulpädagogische Leistung für Wissenschaft, Schulpraxis und Bildungspolitik hier entstanden ist. Es bleibt zu wünschen, dass das Programm und seine Erträge auch dann Wertschätzung erfahren, wenn zur Zeit des Programmabschlusses gerade keine Wahlen in Bund oder Ländern stattfinden und keine direkt sichtbaren Skandale oder Gewalttaten durch politische Extremisten vorliegen. Wer Samstags nach dem Kongress den Magdeburger Hauptbahnhof betrat konnte jedenfalls sehen, dass die Konfrontation zwischen gewaltbereiten Jugendlichen, möglicherweise auch Rechtsradikalen, und staatlichem Gewaltmonopol mit massivem Polizeiaufgebot bereits zum Alltag gehört.

Wir können uns mit den Aggressionen gegenüber der Demokratie als Ordnungs-, vor allem aber als Kultur- und Lebensform ebenso wenig abfinden wie mit den Ausgrenzungen, Anomalitäten und deren zugrunde liegenden wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, die unser Gemeinwesen dauerhaft zu prägen scheinen: Demokratie lernen und leben, das ist eben eine anhaltend offene Aufgabe, die weit mehr als nur für die Schule für nahezu alle Felder unserer Gesellschaft gilt. (Jena, März 2005, Wolfgang Beutel)

Weitere Infos hierzu unter:
www.blk-demokratie.de

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