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Religion und Integration: Im Zentrum aktueller Diskurse um Werte und Aufgaben der Demokratie

Der 42. Theodor-Heuss-Preis geht an Rita Süßmuth und Mustafa Ceric

Das Verschiedene und das Gemeinsame, die Vernunft und die Religion, der begrenzte nationale Kulturraum und die politischen Auswirkungen einer mobilen Welt in stetig beschleunigendem Wandel, der nicht mehr nur als Fortschritt und Wohlstandsmehrung erfahren wird – diese wichtige demokratiepolitische Herausforderung greift der 42. Heuss-Preis mit seinem Thema „Religion und Integration“ auf. Die Spannung von Integration und Differenz kennzeichnet die Politik der Gegenwart und der Zukunft in den großen und kleinen Konstellationen unserer Demokratie, in der Entwicklung Europas und darüber hinaus.

Religion und Demokratie?

Es war ein Vormittag eindringlicher und nachdenklicher Worte seitens der Stiftung und vor allem der Preisträger. Dass Religion sich mit Gebrauch der Vernunft und dem demokratischen Erbe der Aufklärung verbinden lässt, war einer der Leitgedanken. „Religion befreit die Menschen von inneren Zwängen“, sagte Gesine Schwan in ihrer facettenreichen Laudatio und Begründung für Preisthema und Preisträger, „und bereitet damit der freiheitlichen Demokratie den Boden“. Dieser positiven These, die sich auch in den jüngeren Erklärungen und Stellungnahmen bspw. der evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur „Demokratie als Angebot und Aufgabe“ niederschlägt, die zudem in der Kirchentagsbewegung der beiden christlichen Konfessionen durchaus sichtbar wird, fehlt – so ist man auf’s erste versucht zu denken – das Äquivalent im Islam, und das nicht nur in seiner europäischen Heimat im ehemaligen Jugoslawien. Einen Gegenbeweis dazu lieferte Mustafa Ceric, Oberhaupt der bosnischen Muslime und zusammen mit Rita Süßmuth diesjähriger Preisträger, der wiederholt für einen modernen Islam auf Basis religiöser und kultureller Toleranz sowie demokratischer Staatlichkeit eingetreten ist.

Dass „Integration gesellschaftliche Teilnahme und Verhinderung von Ausgrenzung“ meint, unterstrich die Laudatorin in Rückbezug auf den religiösen und gemeinsamen Kern der drei monotheistischen Religionen, die letztlich die Kultur Europas prägen, differenzieren und möglicherweise auch an der Kultivierung eines einigenden Rahmens arbeiten können. Integration funktioniere nur in der Anerkennung der Differenz und der Wahrnehmung der Individualität. Mit der alttestamentarischen Individualitätsthese, die im „Ich habe Dich bei deinem Namen gerufen“ (AT, Jes. 43,1) die Wertschätzung des Einzelnen in seinem Bezug zu Gott fundiert, indem Freiheit, Erlösung und Individualität verknüpft werden, bezieht sich Gesine Schwan auf den „Adel des Namens“ und wendet damit die Religion auf die Moderne, die im Ich und der Differenz ihren prägnantesten Ausdruck gefunden habe. „Individualität und Unersetzlichkeit der Person“ begründen den religiösen Respekt im Christentum und im Islam ebenso wie die grundlegenden Normen des freiheitlichen und demokratisch verfassten Rechtsstaats. Der „lebendige und praktische Glaube“ korrespondiere deshalb durchaus, so Frau Schwan, „mit der Demokratie“.

Von hier aus war es naheliegend, die in ihren jeweiligen Gruppen und Kontexten wirkenden Preisträger gerade in diesem individuellen Profil zu würdigen. So lässt sich die Tatsache, dass Rita Süßmuth in ihrer christdemokratischen Partei bisweilen unübersehbar am Rande gestanden ist, ebenso neu verstehen wie die besondere Integrationsleistung des Großmufti von Bosnien dabei, einen modernen Islam zu praktizieren, der Toleranz, Kultur, Individualität und Verständigung mit dem Anderen sowie einer weltlichen Politik als Normgefüge umreißt. Auch die Muslime könnten in einer solchen religiösen Praxis „multiple Identifikationen akzeptieren“, umschrieb Frau Schwan die Herausforderung, praktizierende Moslems mit einer von ihrer Religion getrennten Welthaltigkeit demokratischer Politik zu versöhnen – und erinnerte dabei daran, das dies zu leisten auch Aufgabe eines adäquaten Christentums und eines modernen Judentums sei. Zu Recht wies Cem Özdemir in der die Preisverleihung abschließenden Diskussionsrunde auf die Verantwortung einer fundamental-christlichen Strömung in Politik und Militär der bosnischen Serben hin, die bei den Bürgerkriegen der 1990er-Jahre mehreren Tausend Muslimen das Leben gekostet habe. Nicht nur im Islam würden Politik und Religion vermengt, auch die anderen Religionen müssten sich dieser undemokratischen Tendenz verschiedentlich stellen, so seine Botschaft.

Der wichtigste demokratische Preis der Bundesrepublik

Rita Süßmuth betonte ein politischen Handeln, dass auf Integration zielt und auch diejenigen mit einbezieht, die am Rande gesellschaftlicher Entwicklungen stehen: „Ich bin in die Politik gegangen, um etwas davon umzusetzen und dabei die Randständigen in die Mitte zu holen”, sagte die Preisträgerin und illustriert dies mit der ersten Integrationskampagne für die an AIDS erkrankten Menschen in den 1980er-Jahren. Dass Integration vielfältige Randgruppen meint und dabei auch große Bevölkerungskreise, ist in einem Land, das seit Ende der 1960er-Jahre einem zunehmenden Zuwanderungsstrom unterliegt, für Süßmuth eine Selbstverständlichkeit. Ihr Anliegen liege deshalb auch darin, „Politik und Gesellschaft die Tatsächlichkeit nahezubringen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei“. Andere Integrationsaufgaben, wie bspw. die Gleichberechtigung der Frauen kommen hinzu. Derzeit liege die größte Herausforderung jedoch darin, einen „europäischen Islam“ zu fördern und zu unterstützen. Dabei, so Süßmuth, „sei man immerhin auf dem Wege” und reichte das Wort an den anderen Preisträger, den Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric.

Dieser forderte die „Freiheit von Angst“ als Grundlage menschlichen Zusammenlebens innerhalb multiethnischer und multireligiöser Nationen ebenso wie in Blick auf die internationalen Beziehungen und die Gespräche zwischen den Religionen. Ceric, als Oberhaupt der bosnischen Muslime ebenso angesehen wie international als „politischer“ Theologe geachtet, verspricht sich durchaus die Möglichkeit einer „offenen und demokratischen Gesellschaft“ in den neuen Ländern des Balkan. Er ist dabei voller Zuversicht, dass die Muslime dort „ihren Platz finden und die Loyalität zur Demokratie und zum toleranten Leben“ entwickeln werden.

Integration geht alle an

Das abschließende Podiumsgespräch ermöglicht einen kurzweiligen Einblick in Integrationsleistungen und in Differenzen auch innerhalb verschiedener Kulturen. Wenn Cem Özdemir als „weltlicher Muslim“, der – wie er sagte – weder konsequent faste noch die anderen religiösen Rituale des Islam sich intensiv aneigne, dennoch zwischen den Kulturen stehe, habe das auch mit seinem Aufwachsen im evangelisch und pietistisch geprägten schwäbischen Metzingen zu tun. Dort habe er schon in der Jugend und der Schule Freunde gefunden und sinnvolle Freizeitangebote; eben ein Miteinander und keine „Ausgrenzung“. Auch der Integrationsbeauftragte der Stadt Stuttgart, Gari Pavkovic, ist bosnischer Herkunft und sprach von Möglichkeiten der Begegnung aus eigener Erfahrung einer Schulzeit im Württembergischen, die „besondere Integrationshilfen“ noch gar nicht gekannt habe. Gleichwohl haben Mitschüler ihm zu Beginn dieser Fremdheitserfahrung immer wieder geholfen und ihn akzeptiert.

Mustafa Ceric und Cem Özdemir haben schließlich dringlich daran appelliert, in den Muslimen nicht immer nur die Eiferer zu sehen, die bspw. Frauen diskriminierten. So etwas gebe es in allen Religionen und gerade Ceric unterstrich, dass seine Arbeit „ohne seine Frau“ nicht denkbar sei. „Gesellschaften, die sich öffnen“, so der Heuss-Preisträger 2007, werden sich weiterentwickeln, diejenigen, „die sich abgrenzen und abschließen, werden scheitern“.

Dass die Integration deshalb eine dauerhafte und wichtige Aufgabe sei, gerade auch in Schulen und in der Erziehung, war übereinstimmender Konsens der von Roger de Weck souverän befragten Diskussionsrunde. Das „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ hat in guter Tradition früherer Heuss-Preis-Verleihungen einige aktuelle Projektbeispiele in einer kleinen Ausstellung beim abschließenden Empfang präsentiert und dokumentiert damit auch der „Heuss-Preis-Gemeinde“ gegenüber seine Arbeit für das Stiftungsziel. Das nächste große Unternehmen dabei ist die Lernstatt Demokratie im Juni in Jena. Auch dort werden eine Reihe von multiethnischen Integrationsprojekten vorgestellt. Das Thema ist mit der diesjährigen Vergabe des Heuss-Preises nicht abgeschlossen, sondern aktueller denn je.

(Wolfgang Beutel, Stuttgart/Jena Mai 2007)

 
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