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Aufhorchen - Die EU gehört auch mir!

Unter der Anleitung von Valerio Bonvini wird den gegenwärtigen Problemen und Entwicklungen in der Union mit der Schlagzeile „Die EU gehört auch mir! Europa Lust statt Brüsseler Frust“ nachgegangen. Ziel ist es, den etwa 25 Schülerinnen und Schülern aktuelle Themen verständlich zu erklären und die Möglichkeit zu geben, ihre individuellen Fragen zu stellen.

Nach der Vorstellung seines eigenen beruflichen Werdegangs leitet Herr Bonvini über zu einer Charakterisierung der Zielstellungen, Aufgaben und Arbeitsweisen der Europäischen Union. Hierbei betont er, dass die Union bislang sehr gute Arbeit geleistet habe, sie aber nicht das Allheilmittel für alle Probleme der Mitgliedstaaten sein könne. Er erzählt von seinen eigenen Erfahrungen mit der komplexen inneren Struktur und der häufig verzerrten Außenwahrnehmung der EU. Er streicht heraus, dass die Flut an Informationen über die Tätigkeit und die Aufgabenbereichen der Union häufig falsch von den Medien wider gegeben werde und dies ein großes Problem darstellt.

Regeln in der Krise

Das komplexe Regelwerk der EU befinde sich, so Bonvini, in einer Krise: Es wurde vor 50 Jahren für wesentlich weniger Staaten entworfen und erweist sich als träge und hemmend, wenn es um schnelle Entschlüsse geht. Herr Bonvini erklärt dies am Beispiel eines Freundeskreises. Hier muss mit vielen Personen eine Entscheidung getroffen werden, was für die Beteiligten heißt, sich auf einen Kompromiss einlassen zu müssen. Eben solche Kompromisse müssen ständig zwischen den Mitgliedern der Union ausgehandelt werden.

Herr Bonvini weist darauf hin, dass es auch Bereiche gibt, die von den Mitgliedern nicht gemeinsam entschieden werden. Dies gelte vor allem für die Außen- und Verteidigungspolitik, die noch immer von allen Mitgliedern alleine entschieden werde. Doch selbst Bereiche, die traditionell von den Staaten im Alleingang geregelt werden, seien aufgrund der Komplexität und Vernetzung der Problematiken nicht mehr autonom regelbar. Ein Beispiel hierfür gebe die Einwanderungspolitik.

Die EU, die als eine Wirtschaftsgemeinschaft begann, muss weiter zu einer sozialen Gemeinschaft ausgebaut werden, so die konsequente Forderung! Die Bürger seien nicht mehr bereit, über ihre Köpfe hinweg entscheiden zu lassen, sondern forderten Partizipation an EU-Entscheidungen. Diese Tendenz lasse sich gut an der Ablehnung der Verfassung durch Frankreich und die Niederlande ablesen. Die EU kranke an einer sinkenden Legitimität. Die Union müsse sich selber den Bürgern besser erklären und diese müssen einbezogen werden, statt weiter ein Projekt der Eliten zu bleiben, bündelt Bonvini die gegenwärtige Lage in der EU. Seine These: Angela Merkel hat den Prozess zur weiteren Integration erneut angestoßen und mit großem Erfolg weiter geführt.

Die EU – auch ein Entideologisierungsprojekt

Valerio Bonvini möchte die bekannten EU-Vorurteilen entkräften. Um der These der aufgeblähten Bürokratie zu begegnen stellt er als erstes die Frage nach der Zahl der Beamten. Die Schüler schätzen die Zahl als viel zu hoch ein. Tatsächlich hat die EU nur 25.000 Beamte, was in etwa dem Bestand von Städten wie Köln oder Mailand entspricht. Diese Beamten kommen aus der ganzen EU und sollten idealer Weise nur der Union und nicht ihren Heimatländern verhaftet sein.

Eine anwesende Lehrerin fragt, ob die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem an deutschen Hochschulen auf eine Initiative der EU zurückgeht. Es zeigt sich, dass dieser Bereich alleine den Ländern untersteht und die EU hierauf keinen Einfluss hat. Eine weitere Frage richtete sich auf die Kennzeichnungspflicht von Inhaltsstoffen der Nahrungsmittel, die in der Union verkauft werden und wie diese von allen Mitgliedern einheitlich umgesetzt wird.

Herr Bonvini antwortet, dass nur ein Mindeststandart für die Kennzeichnung von der EU vorgeschrieben wurde, der von den Mitgliedstaaten individuell erweitert werden kann. Problematisch sei besonders die Diskussion um genmanipulierten Inhaltsstoffe. Diesen konnte bislang keine schädigende Wirkung nachgewiesen werden, weshalb sie zugelassen wurden. Auf die Etikette wird aus Angst vor Reputationsschäden häufig nur angegeben, dass ein Produkt genmanipulierte Inhaltsstoffe enthalten kann, selten, dass es dies in großen Mengen tatsächlich enthält.

Der Moderator fordert ausdrücklich dazu auf, sich bei solchen Angelegenheiten direkt an seinen Europaabgeordneten zu wenden. Wenn viele EU-Bürger diesem Beispiel folgen würden, könnte tatsächlich etwas bewegt werden. Auch könnte man sich so direkt über die Programme der einzelnen Abgeordneten informieren. Herr Bonvini betont, dass man auf diesem Wege einen Beitrag zu direkter demokratischer Beteiligung leisten könne.

Die EU und die Lobby

In der nächsten sequenz geht es um die Rolle von Lobbyisten im EU-System. Diese werden aktiv, wenn die Kommission mit der Vorbereitung einer Gesetzesinitiative beauftragt wurde. Sie versuchen durch Studien diese Initiative nach ihren Wünschen zu beeinflussen. Allmählich bildet sich eine Bewegung der Gegenlobby, die das Eingreifen der Industrie abzufedern versucht.

Auch das EU-Parlament wird angesprochen. Das Parlament der EU ist je nach Aufgabenbereich verteilt auf Brüssel, Luxemburg und Straßburg. Dies ist sehr umständlich und teuer, stellt aber erneut einen Kompromiss zwischen den Mitgliedern dar. Ziel muss es sein, den Tagungsort fest zu legen. Hierzu müssen den betroffenen Ländern Anreize geschaffen werden, ihre privilegierte Stellung aufzugeben. Herr Bonvini weist auf eine Petition in dieser Angelegenheit hin, die im Internet zu unterschreiben ist. Eine Schülerin fragt, ob es ein Fehler war, Polen so schnell in die Union aufzunehmen, da das Land gegenwärtig so hartnäckig auf seine Stimmengewichtung pocht.  Ein anderer Schüler wendet hierauf ein, dass das Gleichgewicht, welches vor der Erweiterung zwischen den Staaten bestand, gestört wurde. Dies werde sich aber in absehbarer Zeit wieder einstellen, womit derlei Probleme vom Tisch seien.

In der Diskussion wird die These vertreten, dass die Erweiterung zu schnell gegenagen sei. Es stelle sich ein, was eingangs angemerkt wurde, nämlich dass Regeln, die für ursprünglich sechs Staaten galten, für 27 nicht ohne weiteres praktikabel seien.

In der EU gab es Bestrebungen, lieber eine schnelle Erweiterung voran zu treiben, als Ordnung im eigenen Hause zu schaffen. Momentan wird das Modell der EU der verschiedenen Geschwindigkeiten wieder diskutiert. Dabei sollen Staaten, welche integrationswillig sind, sich enger zusammenschließen, andere, die noch Zeit brauchen, warten. Dieses Modell ist bereits jetzt in manchen Bereichen Realität, da nur einige Länder den Euro eingeführt haben. Mit Blick auf die hohen Kosten der Aufnahme der Staaten Osteuropas ist Herr Bonvini optimistisch. Betrachtet man Spanien und Portugal sind die Erfolgsaussichten groß, bald gutes Wachstum zu erzielen.

Finanzierung der EU

Die Kosten waren denn auch das Stichwort, um auf die Höhe der Unterstützungen für die neuen Länder und auf die Höhe der Bezahlung von EU-Abgeordneten einzugehen. Herr Bonvini erklärt die Verteilung von Geldern in den Strukturfonds und die Eigenbeteiligung der Zielländer. Die Verschiedenheit der Länder drückt sich auch in der Bezahlung der Abgeordneten aus. Hier reiche das Einkommen von 12.000 € für italienische Abgeordnete bis zu 350 € für litauische Abgeordnete.

Es wird gefragt, in wiefern nicht-europäische Länder von einer Aufnahme profitieren würden. Die Antwort – so das Ergebnis der Diskussion – liegt in der Frage der Werte, auf denen die EU basiert. Diese verschaffen dem Beitrittsland eine höhere Glaubwürdigkeit. Die Staaten der EU sind alles Demokratien und marktwirtschaftlich ausgerichtet Länder, es gibt keine Todesstrafe, etc.. Solche Anforderungen müssen auch die Kandidaten erfüllen. Der Nutzen für Aufnahmekandidaten läge in der Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Position der Länder.

Ein Schüler geht nochmals auf den Beitritt der Türkei ein. Er möchte wissen, ob sie beitreten wird und wann dies geschehen wird. Herr Bonvini antwortet, dass der Prozess eingeleitet wurde und nun geprüft würde, ob eine Möglichkeit des Beitritts bestehe. Er selber sei froh, dass die Türkei die Werte der EU übernommen hätten. Nun sei es eine Frage der Toleranz und der Geduld auf beiden Seiten, dass der Prozess zu Ende geführt würde. Jeder Europäer sollte bei der Türkei und allen anderen Kandidaten genau beobachten, ob auch wirklich umgesetzt wird, was zugesagt wurde. Der Schüler fragt weiter, ob die Türkei als säkulärer Staat nicht schon große Fortschritte gemacht habe. Herr Bonvini erwidert, dass die Problematik eher in der Größe und somit in dem Einfluss der Türkei auf die übrigen EU-Länder läge.

Sofort wird eingeworfen, dass die EU eine gewisse Verantwortung gegenüber der Türkei hätte, da diese immer ein Teil der europäischen Geschichte gewesen sei.

Die EU – ein Projekt, das begeistert

Dem Moderator ist deutlich anzumerken, wie ihn seine Arbeit in der Union begeistert. Er erzählt verschiedene Anekdoten aus seiner Arbeit, spricht über das Vergütungssystem und empfiehlt den Anwesenden, sich um eine solche Stelle zu bewerben. So kommt es in der Folge zu einer Debatte über den Euro.

Die Schüler und Schülerinnen begrüßen die Umstellung auf den Euro. Ein Einwand, dass alles teurer geworden sei, wird von den Anwesenden als Fehlwahrnehmung eingestuft. Insgesamt sei es eine gute Entwicklung, dass die Union eine einheitliche Währung habe. Auch seitens der EU seien die Vorteile enorm. Die Buchhaltung in der Union hätte sich stark vereinfacht und der Euro zeichne sich durch große Stabilität und durch größere Transparenz in den Mitgliedstaaten aus. Herr Bonvini weist darauf hin, dass es aber tatsächlich zu einer Verteuerung im Dienstleistungssektor gekommen sei.

Ein Schüler fragt abschließend, ob sich die EU zu einem föderalistischen Gebilde entwickeln könnte, ähnlich den USA. Herr Bonvini hält diese Möglichkeit für sehr unwahrscheinlich, da besonders die neuen Mitgliedstaaten ihre Souveränität nicht gleich wieder aufgeben werden. Es habe sich in der EU noch keine Bundesebene für Entscheidungen herausgebildet. Auch wenn es keine Aufgabe der Souveränität geben wird, hofft unser Moderator doch, dass es zu einer weiteren Integration kommen wird. Im wirtschaftlichen Bereich spräche die EU schon mit einer Stimme, was hoffentlich auch in weiteren Bereichen eintreten wird. Ein solcher Prozess werde aber noch lange Zeit in Anspruch nehmen.  Abschließen werden die Anwesenden erneut aufgerufen, sich durch E-mail an Abgeordnete direkt an der EU-Politik zu beteiligen. Ein interessanter, informativer, aber doch letztlich recht gesprächsorientierter Workshop findet seinen Abschluß!

(Johannes Le Blanc, Berlin)

 
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