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Demokratie macht Schule – Eine Kooperationstagung mit Thüringer Schulen im Zinzendorfhaus Neudietendorf

"Lernen ist demokratiepädagogisch gesehen ein komplexer Prozess des Denkens bzw. Wissens, des Handelns und des Erfahrens und in jedem Fall mehr als die Aneignung von Wissensinhalten", sagt Peter Fauser in einem Interview mit Botho Priebe aus dem Jahr 2008 auf die Frage wie die Demokratiepädagogik sich in der gegenwärtigen Schulreformdebatte verortet und welche konzeptionellen Grundzüge und Ziele sie hat."

Dieser "komplexe Prozess des Demokratie Lernens"  war Gegenstand der Tagung "Demokratie macht Schule" am Donnerstag, den 8. Oktober 2009 im Zinzendorfhaus, in Neudietendorf bei Erfurt. Die Kooperationstagung wurde veranstaltet von  der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Förderprogramm Demokratisch Handeln, dem Thillm und der Serviceagentur "Ganztägig Lernen" in Zusammenarbeit mit der DeGeDe.

Unter der Moderation von Christine Wolfer und Wieland Krispin sowie durch die musikalische Begleitung des Schüler-Jazzorchesters des Gymnasiums Neuhaus/Rwg. wurden die  Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern auf das Thema der Tagung eingestimmt, das zweifelsohne  im "Jahr der Demokratie 2009" und den bewegten Zeiten der Wahl von besonderer Bedeutung ist.

Klassenrat als Weg zur demokratischen Schule?

Im Anschluss an das Begrüßungsgespräch sprach Wolfgang Edelstein, ehemaliger Direktor des Berliner Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung über "Schule und demokratische Schulkultur: Ressourcen für die Demokratie?" Er stellte die Frage in den Vordergrund, warum sich Schüler demokratisch beteiligen sollten und gab dafür notwendige gesellschaftliche Gründe sowie Ansätze funktionierender Schülerpartizipationsmöglichkeiten, so beispielsweise den Klassenrat. Wolfgang Edelstein betonte, dass Demokratie keine Nebenaufgabe des Lernens sei, sondern im Zentrum des Schulalltags stehen müsse. Dies fordere soziales Engagement. Er verdeutlichte zudem, "dass eine demokratische Gesellschaft in der Bundesrepublik erst möglich ist, wenn die Jugend anfängt, demokratisch zu handeln", so Edelstein. Dafür müssen den Schülerinnen und Schülern gewisse soziale Kompetenzen und Qualifikationen vermittelt werden, um die Demokratie als Lebensform mitgestalten zu können: "Eine demokratische Schule darf dabei nicht als überflüssiges Luxus-Gut angesehen werden, sondern muss zur Selbstverständlichkeit im Bewusstsein der Gesellschaft werden. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, junge Menschen zur gemeinsamen Verantwortung zu bewegen, denn dies sei die Basis der Demokratie", so Edelstein in seinem engagierten Plädoyer. Der renommierte Bildungsforscher machte deutlich, dass Klassenrat im Idealfall viel mehr ist, als lediglich eine Partizipationsverfahren auf Ebene von Klasse und Jahrgangsstufe. Edelstein sieht in der partizipativen Substanz und dem lebenspraktischen Ernst dieses Verfahrens die Keimzelle für eine demokratiepädagogische Vitalisierung des Lernens und Lebens, der Sozialität und des Handelns in der Schule.

Damit aus dem Klassenrat aber eben diese demokratische Grundlagendimension und notwendige schulreformerische Kraft werden kann, "müssen in den Schulen verantwortungspädagogische Prozesse entwickelt werden", so Edelstein weiter, "die Kinder und Jugendliche zum verantwortlichen Handeln anregen". Der erste Schritt wäre dabei, die Schüler in schulische Planungskontexte einzubeziehen und ihnen für ihre Leistungen Anerkennung sowie ein konstruktives Feedback zu geben, denn "ohne Anerkennung keine Selbstwirksamkeit, kein verantwortliches Handeln, keine Partizipation". Vorausgesetzt ist dabei, dass der Lehrer vom Klassenleiter zum Beobachter und gleichwertigen Mitglied wird. Durch regelmäßige Treffen lernen die Jugendlichen früh Verantwortung zu übernehmen und mit Engagement zu handeln. Durch den Klassenrat kann eine Verbindung zwischen den Institutionen Schüler, Lehrer, Eltern und Gesellschaft geschaffen sowie mehrere demokratisch bzw. auch politische Projekte initiiert werden. "Denn um die Demokratie als Wert begreifen zu können, muss ein aktives, soziales Engagement der jungen Generation entfacht werden", so schloss Edelstein fast appellativ seinen Vortrag. Reicher Beifall belegt, dass er mit seinem Konzept vor schon fast überzeugten Zuhören gesprochen hat. Es ist zu wünschen, dass diese Vorstellungen noch mehr als die bereits überzeugten und demokratiepädagogisch engagierten Menschen in den Schulen des Landes erreichen möge.

Demokratischer Schulalltag im Widerspiegel von Podium und Workshops

An den leidenschaftlichen Vortrag von Wolfgang Edelsteins schloss sich eine Podiumsdiskussion "Demokratie im Schulalltag" an, bei der als Experten Wolfgang Beutel, Geschäftsführer des Förderprogramms Demokratisch Handeln und Gerhard Himmelmann, Fachdidaktiker für Politische Bildung ehemals an der TU Braunschweig zu Wolfgang Edelstein auf das Podium hinzugetreten sind. Moderiert hat das Gespräch Stephan Ertner, Bildungsreferent der Berliner Böll-Stiftung.

Es war Konsens der Diskutanten, dass Demokratie nicht nur Thema eines Unterrichtsfach Sozialkunde sein kann, zumal Schulen strukturell doch von Demokratien weit entfernt sind. Gerhard Himmelmann betonte die verbreitete Abwehrhaltung insbesondere von Lehrkräften, derzufolge Demokratie in Schulen nicht möglich sei, da diese staatliche Einrichtungen seien. Gerade deshalb müsse die Pädagogik Demokratie nicht als Staats-, sondern als Lebensform verstehen und als gemeinsame kulturelle Überzeugung Schulalltag und Schulleben durchdringen. Wolfgang Beutel skizzierte die weitverbreitete Meinung, es gäbe schon demokratische Schulen – dies sei jedoch lediglich ein Teil der Wahrheit, denn nur wenige Schulen weisen demokratische Strukturen auf. Um diese jedoch zu schaffen, muss eine grundlegende Umorientierung in den Schulsystemen stattfinden. Nach einer kurzen Kaffeepause fanden sich alle Teilnehmer der Tagung in den Workshop-Gruppen zusammen. Christine Wolfers von der DKJS-Servicestelle Jena moderierte die Runde  zur "Demokratische Schulentwicklung – wie und wo beginnen?" Darin wurden die Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung am Beispiel des Gymnasiums Neuhaus und der Regelschule Weißensee sowie die These "Demokratie beginnt beim Lernen" diskutiert.

Im zweiten Workshop konnten sich die Teilnehmer zu dem Thema "Schülerpartizipation im Alltag – Was bewegt Schüler?" beim sächsischen Regionalberater Demokratisch Handeln, Wolfgang Wildfeuer austauschen. In diesem Workshop wurde die Form der Beteiligung am Beispiel des Schülerparlamentes des Gymnasiums Neudietendorf sowie des Klassenrates der Regelschule Crawinkel vorgestellt. Zudem probierten die Teilnehmer eine Coaching Methode Wildfeuers an einem realen und gemeinsam gewählten Problem aus, welche helfen kann, dieses kommunikativ und kontrolliert zu lösen. Des Weiteren diskutierten Lehrer und Schüler gemeinsam, in wie weit ein Handy- sowie Laptopverbot an Schulen herrschen sollte.

Der dritte Workshop "Öffnung von Schule" wurde von Solveig Negelen, Referentin der Erfurter  Böll-Stiftung gestaltet. Hier setzten sich die Teilnehmer mit der Frage auseinander: "Elternarbeit, Kommune, Wirtschaft – wer ist warum beteiligt und was hat das mit Demokratie zu tun?" Praxisbeispiele gaben das Gymnasium St. Elisabeth Heiligenstadt und die Margarethen-Grundschule aus Mühlhausen. Besonders das Problem der Elternpartizipation im Lebensraum Schule und wie eine Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten, Anwohnern sowie Institutionen funktionieren könnte, beschäftigte mehrere Teilnehmer dieses Workshops.

Alle drei Arbeitsgruppen boten die Möglichkeit Fragen zu stellen, Erfahrungen auszutauschen sowie Impulse für schon bestehende oder zukünftige Projekte zu erhalten. Nach zweieinhalb Stunden Arbeit in den Workshops, unterbrochen von der Mittagspause, neigte sich die Tagung dem Ende entgegen und wurde von Wieland Krispin und Dorothea Nitzsche zusammengefasst. Hier hatten die Teilnehmer noch einmal die Möglichkeit, den Tag Revue passieren und problemorientiert zu bilanzieren. Den an der Tagung beteiligten Partnern ist insgesamt v.a. auch durch die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen sowie die Anschauung engagierter Praxisbeispiele ein anschaulicher und diskussionsreicher Nachmittag gelungen. Mit guten Partnern Demokratiepädagogik auch in den Regionen der Bundesländer  zu veranschaulichen und in das Gespräch zu bringen – das ist ein vielversprechender Ansatz. Bleibt zu hoffen, dass es nicht ein Einzelfall war, sondern variantenreich weitergehen möge.

(Neudietendorf/Jena, Oktober 2009, Dorothea Nitzsche)

(12.11.2009, LR)

 
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