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Geschichte zum Anfassen

Wer es einmal genau und in Ruhe ansieht, der erkennt es sofort! Das ist ein Haus voll Geschichte; der kleinen und der großen, der lokalen Bremer Ereignisse und der grundlegenden Entwicklung sowie Wandlung der Stadt als Keimzelle des Bürgertums und seiner auf Gemeinsamkeit und Miteinander zielenden Struktur: Das historische Renaissance-Rathaus zu Bremen, ein ästhetisch wie historisch beeindruckender sehr alter Bau.

Dr. Helmut Hafner, Mitarbeiter und Projektleiter des Landesjugendprogramms "Nacht der Jugend" an der Senatskanzlei Bremen lud die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Stadtspazierganges in das historische Gebäude ein, vor dem – die Markt- und Freiheitsrechte sowie die Solidarität der Stadtgemeinschaft symbolisierend – der weltberühmte Roland steht.

Das einzige europäische Rathaus, das im Spätmittelalter erbaut und bis dato nie zerstört wurde, hielt viele Überraschungen für uns Stadtspaziergänger (und natürlich auch Spaziergängerinnen…) bereit – immerhin stecken hinter der historischen Fassade 600 Jahre Geschichte. Als Herr Hafner die Teilnehmer in die obere Etage führte, erblickten wir als erstes einen riesigen Kieferknochen an der Decke. Dieser Walknochen wurde in Bremen angespült und soll der Legende nach von Moby Dick stammen.

Dann ging es in den oberen Festsaal, wo unsere Teilnehmer sogar in die Güldenkammer gehen durften, dessen Zutritt nur wenige Personen vorbehalten ist, weil sie so kostbar ist. Der Raum, ein einziges Kunstwerk des Jugendstils, ist in seiner Ausgestaltung ästhetisiert und mit echtem Gold ausgestaltet. Diese Kammer, völlig symmetrisch von dem Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler konzipiert und umgesetzt, führt zudem zu den beiden Balkonen, die die Fassade säumen, und auf denen schon Queen Elizabeth, Kaiser Wilhelm II. und in neuerer Zeit auch schon Kevin Costner stehen durften – jetzt waren immerhin wir dran!

Weiter ging es in den Festsaal des neues Rathauses, in dem Herr Hafner uns einen optischen Streich spielen wollte. In dem hanseatisch wirkenden Raum, in dem die Bürgerschaft, das Stadt- und das Landesparlament des Bundeslandes, bis in die 1960er Jahre tagte, hängt ein Gemälde, das zwei Schiffe zeigt, die auf den Bremer Hafen steuern. Stellt man sich in die linke Ecke des Raumes, steuern die Schiffe nach rechts und eigentlich am Hafen vorbei. Geht man jedoch in die rechte Ecke, fahren die Schiffe direkt auf den Hafen.

Im Kaminsaal wurde es gemütlich. Die Teilnehmer dürften sich auf die Lederstühle setzen und die warme Atmosphäre des Raumes auf sich wirken lassen, während Herr Hafner uns von der alljährlichen stattfindenden "Nacht der Jugend" – jahrelang auch ein profiliertes  Projekt des BLK-Programms "Demokratie lernen und leben" –  erzählte. Das Bremer Rathaus war und ist ein Ort für die Bürgerinnen und Bürger. Gerade deshalb wird die Bremer Jugend jedes Jahr zum Pogrom-Gedenktag des 9. Novembers in das historische Gebäude eingeladen, um ihr persönliches Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.

Die Jugendlichen gehen dabei in verschiedenen Schulprojekten, die sich um ein Schwerpunktthema gruppieren, der Frage nach, was sie mit Auschwitz verbindet, denn auf den ersten Blick besteht ja für Jugendliche heute hierzu kaum eine Beziehung. Herbert Hafner will jedoch verdeutlichen, dass im Nationalsozialismus Individualität nicht von Bedeutung war. Vielmehr waren die Menschen zu austauschbaren Gruppenwesen degradiert, was zugleich die Basis für die systematische Ausgrenzung, Sanktionierung, Bedrohung und letzten Endes auch Vernichtung einzelener Gruppen war. In der Demokratie, der aufgeklärt-liberalen Freiheitsgesellschaft von heute ist jedoch gerade diese Individualität nicht nur bereichernd für eine Gesellschaft, die multikulturell geworden ist, sondern zugleich die Triebfeder von wirtschaftlichem Handeln, gesellschaftlicher Verantwortung und solidarischem Empfinden – sie ist Keimzelle der Demokratie und der Menschenrechte.

Die Stadt Bremen als Veranstalter der "Nacht der Jugend" will die Jugendlichen in ihrer Persönlichkeit stärken, indem sie ihnen zeigt, dass jeder einzelne wichtig ist. Damit schlug Herr Hafner auch die Brücke zu Demokratisch Handeln, denn jeder einzelne Beitrag zur Demokratie – und sei er noch so klein – ist von Bedeutung. Mit diesem Worten lud der Projektleiter der Nacht der Jugend die Schülerinnen und Schüler herzlich zur diesjährigen Veranstaltung ein – vielleicht gelingt es ja dem einen oder der anderen von uns, am 9. November 2011 erneut ins Bremer Rathaus zu kommen?

(Jena, Juni 2010, Linda Roeder)

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05.07.2010 (LR)

 
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