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Ein Thema, eine Tonart, eine Richtung

Bereits am Nachmittag treffen sich zehn Schülerinnen und Schüler mit der Moderatorin Blanka Weber (freie Journalistin, Erfurt), um sich auf das kommende Gespräch mit den Politikerinnen Henriette Reker und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorzubereiten. Die Aufregung im Raum war groß: Wie oft gibt es die Möglichkeit mit der Oberbürgermeisterin von Köln und der ehemaligen Bundesjustizministerin ins Gespräch zu kommen?

Die Preisverleihung des "Hildegard Hamm-Brücher Förderpreises für Demokratie und Toleranz" und die ersten zwei Tage auf der Lernstatt Demokratie liegen bereits hinter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Es gibt neben viel Gesprächsstoff auch zahlreiche Fragen: Eine Schülerin stellt beispielsweise die Idee eines Schulfaches in den Raum, dass speziell die demokratische Beteiligung in der Gesellschaft und die Bildung demokratischer Werte in der Schule fördert. Frau Reker erwiderte, dass Demokratie natürlich einen Platz in den Schulfächern finden sollte. Darüber hinaus sei aber festzustellen, dass soziales Engagement und demokratisches Handeln auch dort entstehen können (und müssen), wo kein Lehrplan eine Struktur vorgibt. Demokratisches Handeln reicht über die Grenzen der Schule hinaus. Das Thema Grenzüberschreitungen zieht sich durch das gesamte Gespräch. Eine Schülerin fragt, ob die Oberbürgermeisterin an ihrem "neuen Politikstil" auch in schwierigen Zeiten und außerordentlichen Situationen festhält. "Natürlich!" entgegnet Frau Reker. In diesem Falle sieht die parteilose Politikerin eine Notwendigkeit darin, die Parteigrenzen in der Kommunalpolitik zu überschreiten, denn eine Demokratie im Interesse der Bürger entsteht über diese hinaus. Zwar funktioniere politische Wissensbildung in Parteien und durch Parteien, doch wenn es beispielsweise darum geht, einen Kreisverkehr zu bauen, sollen nicht die einzelnen Parteiinteressen im Vordergrund stehen, sondern die Erfüllung der Bürgerbedürfnisse – in diesem Fall der Bau eines Kreisverkehrs. Ihr Politikstil - die Situation beobachten, Bedürfnisse und Wünsche anhören, die Umstände durchdenken und schnell handeln – macht sie zu einer Person, die ihre Mitmenschen inspiriert und auffängt. Die Verleihung des "Hildegard Hamm-Brücher Förderpreis für Demokratie lernen und erfahren" an diesem Abend wird mit diesen besonderen Qualitäten sowie ihrem Engagement für eine rationale und pragmatische Integrationspolitik begründet.

Frau Reker gibt in ihrer humorreichen, direkten und wachsamen Art nicht nur Antworten. Sie lässt diesen auch Taten folgen. Die Moderatorin Blanka Weber bezeichnet sie als "Macherin", was die Oberbürgermeisterin mit einem Schmunzeln benickt. Sie sei keine Politikerin, wie man diese aus dem Fernsehen kenne, sagt sie von sich selbst. Eigentlich wollte die Juristin nie in die Politik gehen. Politiker, so glaubte sie, beantworten nicht die Fragen, die man ihnen stellt. Sie würden stets im Sinn der politischen Agenda ihrer Partei handeln. Ein verständnisvolles Raunen und unterschwelliges Lachen geht durch das Publikum. Später wurde es ihr zu viel mit der "Deutschtümelei" in der Politik, sie engagierte sich und setzte ihre Ideen um. Im Laufe der Zeit stellte sie fest, dass es kein Zurück mehr geben kann, keine Alternative zum Engagement für Menschen und Gesellschaft. Auf persönliche Fragen antwortet Frau Reker ungewohnt offen. Jedes Statement, jeder Satz spiegelt neben ihrer politischen auch ihre persönliche Einstellung wieder. Dieser "neue Politikstil" vermittelt Authentizität, Verständnis und Kraft.

Pragmatisch und nah am Menschen sind auch die Antworten von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, obgleich ihr der kämpferische "Politikersprech" in die Wiege gelegt schien, wie wir später noch erfahren haben. So lässt sie das Publikum an der Tristesse der politischen Debatten über grundsätzliche Fragen des Schulsystems teilhaben, womit sie in den Kern des jugendlichen Engagements zielt. Es müsse Schule darum gehen flexibel zu sein, neue Lernformen zu entwickeln und vor allem Freiheiten zu schaffen, um die Schülerinnen und Schüler Ideen entwerfen und umsetzen zu lassen. Am wichtigsten sei aber mehr Geld für Bildung zu veranschlagen, vor allem angesichts der aktuellen Herausforderungen der Migration und Integration. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die FDP-Politikerin beeindruckt von dem Engagement der Kinder und Jugendlichen.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger setzt sich für Entwicklung, Fortschritt sowie Tatkraft in Politik und Gesellschaft ein. Im Gespräch mit den Jugendlichen findet sie motivierende Worte. Anders als bei Frau Reker, zeichnete sich der Weg in die Politik bei Frau Leutheusser-Schnarrenberger bereits seit ihrer Kindheit ab. Sie wuchs in einem politischen Haushalt auf und übte sich schon früh im politischen Debattieren. So nahm ihr Weg seinen Lauf und führte bis ins Amt der Bundesjustizministerin (2009 bis 2013). Wenn Frau Leutheusser-Schnarrenberger die Projekte und das Engagement der Jugendlichen und Kinder auf der Lernstatt Demokratie betrachte, sei ihr nicht mehr Bange um die Demokratie. An diesen Abend zählen nicht die Unterschiede der Anwesenden, sondern ihr gemeinsames Engagement und der Wunsch sich einzubringen.

Eine andere Schülerin fragt sich, ob die Demokratie überhaupt durchsetzungsfähig sei und eine Zukunft habe. Eine direkte Frage, die eine direkte Antwort einfordert und diese schließlich von Frau Reker erhält. Obwohl sie keineswegs an der Kraft der Demokratie zweifele, macht sie darauf aufmerksam, dass es angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen, umso wichtiger ist, über Demokratie zu sprechen und vor allem Taten folgen zu lassen. "Die AFD ist keine Alternative, sondern eine Zumutung", sagt sie und ermutigt, gerade in Zeiten solcher polarisierender Entwicklungen in der Parteienlandschaft, mithilfe demokratischer Werte, Ideologien zu entlarven. Es brauche einen gesellschaftlichen Dialog, in dessen Rahmen die zentralen Fragen des Miteinanders diskutiert werden können. Im diesem steten Dialog zwischen allen Mitgliedern unserer Gesellschaft liege die Zukunft der Demokratie.

Miteinander sprechen und eine demokratische Gesellschaft mit demokratischen Werten fördern - dazu soll der heutige Abend beitragen. Nicht alle Fragen können beantwortet werden. Eines wurde aber deutlich spürbar: Alle sind aufeinander angewiesen, ergänzen sich und tragen mit ihren jeweiligen Fähigkeiten maßgeblich zum Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bei. Die Jugendlichen und Kinder haben neue Ideen, Lösungsansätze und Energie, die Erwachsenen bringen ihre Erfahrungswissen mit ein.

Abgerundet wurde der inhaltsreiche Abend durch ein weiteres Stück des Percussion- und Marimbaphonmusikers Christian Benning. Seine abschließende Performance bewegte das Publikum zu einem kaum ermüdbaren Applaus.

(Laura von Hirschhausen, Sophia Fruth, 8. Juni 2016, Tutzing)

24.06.2016 (DI)

 
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